Kunst ist eine Sprache, der Künstler ein Übersetzer

Kunst ist also eine Sprache, der Künstler ein Übersetzer; die zu übersetzende Sprache das Geistige, die übersetzende Sprache das Sinnliche. Manchmal sogar die Sprache des Übernatürlichen, übersetzt in die Sprache des Natürlichen! Ein anderes Bild wird uns von Simone Weil gegeben: Ihrer Meinung nach ist ein Meisterwerk in der Kunst ein Fenster. Nur ein Fenster. Und das Interessante an einem Fenster ist nicht es selbst, sondern das, was es zu sehen zeigt. Man schaut nicht auf ein Fenster, man schaut hindurch. Für Simone Weil ist ein Kunstwerk, das die Ebene eines Meisterwerks erreicht, ein Fenster, durch das man die übernatürliche Welt erblicken kann. Daraus wird eine notwendige Bescheidenheit der Kunst abgeleitet. In Schwere und Anmut sagt sie: „Die Schönheit verführt das Fleisch, um die Erlaubnis zu erhalten, bis zur Seele vorzudringen“. Perfektionieren wir unsere Definition: Kunst übersetzt geistige Realitäten für den Geist in den sinnlichen Bereich. Stellen wir uns vor, dass zwischen der geistigen Welt und unserem Geist, die aus verschiedenen Ländern kommen und nicht miteinander kommunizieren können, die Kunst als Dolmetscher und Übersetzer fungiert.

Thomas von Aquin komponierte Sequenz aus der Messe zum Fronleichnamsfest bietet eine wunderbare poetische und musikalische Illustration unserer Ausführungen: “ sit laus plena sit sonora, sit decora sit jucunda mentis jubilatio!“ „das Lob (der Seele) sei voll, es sei tönend, und der Jubel des Geistes sei schön und freudig!“

 

Wird jedoch seit vorhin nur über sakrale Kunst oder auch über weltliche Kunst gesprochen? Gilt unsere Definition für Kunst im Allgemeinen oder nur für religiöse Kunst? Ein Wort von Johann Sebastian Bach, das er in einem seiner Briefe schrieb, wird uns helfen, darauf zu antworten: „Alle Musik, die nicht für Gott bestimmt ist, ist nichts als ein höllisches Gewirr.“ Das ist eine eindeutige Aussage. Dennoch hat Bach weltliche Musik komponiert. Das liegt daran, dass man zwischen religiöser Kunst, deren Themen explizit religiös sind, und weltlicher Kunst, deren Themen im Bereich der Natur liegen, unterscheiden muss. Aber beide fallen in den Bereich unserer Definition, und in fine bezieht sich auf Gott, der alles geschaffen hat vgl. „L’art et la Grâce de dom Clément Jacob chapitre VII Art chrétien?“ :

  • Weltliche Kunstwerke sind sinnliche Ausdrucksformen von Gottes schöpferischer Güte (oder Liebe).

Beispiel in der visuellen Kunst: ein Landschaftsgemälde, ein edles Porträt (z. B. Vermeers „Das Mädchen mit der Perle“), in dem die Farben, das Licht und die Schönheit eines Gesichts uns ein Fenster zur schöpferischen Liebe Gottes öffnen, der die Form der Gesichter geschaffen hat, das Relief der Landschaften gezeichnet hat…

Beispiel in der Musik: Vivaldis vier Jahreszeiten übersetzen in Harmonie und Klang die Güte Gottes, die im Funktionieren der Natur und des Kosmos gegenwärtig ist; eine Oper (ein Beispiel sowohl für Musik als auch für Literatur) von Mozart (Die Hochzeit des Figaro, Don Juan…) übersetzt musikalisch das psychische und spirituelle Phänomen der menschlichen Liebe, die immer von Gott aus den Schätzen seiner Güte geschaffen wird, muss man daran erinnern.

Beispiel in der Poesie: Übersetzung von immateriellen Schönheiten in Worte.

Ein Beispiel aus der Architektur: Ein einfaches, aber schönes Haus, eine Villa oder sogar eine rustikale Wohnung drücken in unseren Augen und räumlichen Empfindungen die geistigen Realitäten aus: das Leben und die Wärme des Familienheims, das Zusammenwohnen in Frieden, die brüderlichen und gemeinschaftlichen Beziehungen.

Dahinter, wenn man nach oben geht, steht immer noch die Güte Gottes.

  • Heilige Kunstwerke sind Ausdrucksformen der erlösenden Liebe Gottes (wobei immer natürlich seine schöpferische Güte zugrunde liegt).

Beispiel aus der visuellen Kunst: Altarbild einer Verkündigung von Fra Angelico. Die Sprache der Übersetzung ist dieselbe wie in der weltlichen Kunst, d. h. Farben, Muster usw., das Fenster selbst ist aus demselben Material, aber die geistige Welt, die es erahnen lässt, ist diesmal die übernatürliche Welt durch die Mysterien der Erlösung.

Beispiel aus der Musik: Die Passionen von J-S Bach

Beispiel aus der Architektur: Eine schöne Kirche drückt im Vergleich zu einer profanen Behausung nicht mehr nur das natürliche Gemeinschaftsleben aus, sondern die übernatürliche Gemeinschaft der Heiligen der Kirche um Gott, der unter ihnen wohnt.

Beispiel in der Poesie: Eine Hymne, z. B. die Hymne der Laudes an Weihnachten, übersetzt das Geheimnis der Menschwerdung und der Behausung Gottes in der Seele in Worte.

 

„Castae parentis viscera

Caelestis intrat gratia

Venter puellae bajulat

Secréta quae non noverat

Domus pudici pectora

templum repente fit Dei

intacta nesciens virum

verbo concepit Filium „